29. November 2015

249

„Nach der was?“
„Fast jeder gute Popsong funktioniert nach einem bestimmten Schema. Grob gesagt gibt es vielleicht fünf verschiedene Varianten, und dabei ist total egal, zu welcher Musikrichtung er gehört. Wenn man sich daran hält, hat man Chancen, ebenfalls einen Treffer zu landen. Natür­lich gehört auch Glück dazu und das richtige Timing, aber es ist auch Mathematik.“
Langsam wirst du mir unheimlich, nicht nur was deine sprachliche Entfaltung betrifft! „Und als du das Höllenlied geschrieben hast, hast du an die ganzen Sachen schon gedacht?“
Da lacht er wieder. „Nein, das kam von selbst. Aber es hat mich auf die Idee gebracht, ein bisschen nachzuforschen. Es hat schließlich seine Gründe, warum dir das eine Lied nicht in den Kopf geht und du das andere nicht mehr heraus kriegst.“
„Also machst du eigentlich Ohrwurmforschung, damit die Donnerdrummels nur noch Hits schreiben und reich und berühmt werden.“
Er winkt ab. „Reich und berühmt sind wir vielleicht in zehn Jahren. Aber bis dahin kann es nicht schaden, sich ein bisschen mit der technischen Seite der Musik auszukennen. Deine Kumpels von U2 haben auch nicht nur Spontaneinfälle, wenn sie ihre CDs aufnehmen.“
Du hast wirklich die ganz große Karriere im Blick. Na, mal sehen, ob ich da mitgehe … Für mich ist das Musikmachen doch eher ein Hobby. „Wir müssen die Mädels fragen, ob die das auch so hören“, unterbreche ich die Ausführungen.
„Sie werden auf jeden Fall eine gewisse Ähnlichkeit feststellen.“
„Dann könnten wir auch ein paar Lieder von U2 ins Programm aufnehmen“, fasse ich Mut.
„Bloß nicht. Oder willst du als eine von vielen U2-Coverbands durch die Kneipen tingeln? Das ist ja wahnsinnig kreativ.“
Oh je, denke ich auf einmal. Denn das Lied, das zu singen ich mich vorbereite, das ist von dieser Band, deren Bassist angeblich so klingt wie sein bisher weniger bekannter Kollege von Donnerdrummel. Auf einmal bin ich nicht mehr sicher, ob das das richtige Lied ist. Miloš wird dagegen sein, wenn ich es vorschlage. Und ich weiß auch nicht, was ich mit all diesen Erkenntnissen und Denkanstößen tun soll, daher ist es mir recht, dass kurz darauf Merle und Lisanne herein kommen und Ablenkung liefern.
Miloš führt den Versuch noch einmal durch. Mindestens eine der beiden kommt jedes Mal zum gleichen Ergebnis wie vorher ich.(121)
Als er das Spiel auflöst, fragt Merle: „Und was fangen wir damit jetzt an? Hat es Auswirkungen auf unsere Art Musik zu machen?“
„Sollte es“, sagt er. „Wir sollten nämlich nutzen, was die Herren von U2 schon vor uns festgestellt haben. In einem Interview sagten sie, dass sie Schlagzeug und Bass als Gerüst sehen, das die übrigen Instrumente stützt, also Gitarre und Gesang. Der Rhythmus als Korsett, in dem sich die Melodie frei entfalten kann. Ihr Schlagzeuger ist auch ein sehr präziser Trommler, genau wie Jeremy, und beide zusammen, Bassist und Schlagzeuger, haben der Band zu ihrem unverwechselbaren Sound verholfen.“
„Also ich finde, das sind eher Bono und Edge, die den Sound unverwechselbar gemacht haben“, wirft Lisanne ein.
„Das ist richtig, aber die Rhythmus-Abteilung ist ohne die beiden trotzdem unverwechselbar. Und das können nur wenige Bands von sich sagen.“
„Aha. Noch ein U2-Fan“, stellt Merle trocken fest, „als ob einer nicht reichen würde.“(122)
Er winkt ab. „Lisanne orientiert sich zu viel an Jeremy und mir; anstatt das Gerüst auszufüllen, versucht sie oft, es auch zu stabilisieren. Aber das ist falsch, denn erstens ist es bereits stabil genug und zweitens ist nur mit unseren Stimmen zuwenig Inhalt drin.“
„Ich versteh nur Bahnhof.“
Lisanne grinst. „Mir dagegen geht gerade ein Licht auf. Was du da zum Gerüst sagst, hatte mich nämlich auch schon gestört, aber ich hätte nicht sagen können, wo das Problem liegt.“
„Hä?“, macht Merle.

Keine Kommentare: