8. Januar 2016

405

hundertdreiundzwanzigstes Kapitel

Der zweite Tag des Jahres fängt sehr gut an, denn niemand zwingt mich zur Unzeit auf die Terrasse, um Naturwunder zu betrachten. Allerdings gibt es auch keine, zumindest nicht beim Wetter. Es regnet.
Als ich im Bad angekommen bin, sehe ich, dass ausgewaschene Sportklamotten auf dem Wäscheständer hängen. Das bedeutet, dass mein Mitbewohner endlich wieder joggen gewesen ist. Das freut mich für ihn. Es war schwierig ohne seinen Sport (für uns beide), auch wenn er sich immer beherrscht hat.
Ein Zimmer weiter informiert mich ein Zettel am Wasserkocher, dass er geschäftlich in Alkmaar ist. Geschäftlich! Das hört sich sehr wichtig an. Dann jedoch fällt mir ein, dass Merle ihm gestern geraten hat, sich wegen des Anzugs bei Toni zu melden.
Ab zehn Uhr bin ich mit Grietje, Bernard und Shelley in der MBB verabredet. Wir wollen in unseren Driehoeken-Räumen gründlich aufräumen und reparieren, was kaputt gegangen ist. Dafür ist im normalen Schulalltag meist keine Gelegenheit.
Im Laufe der Zeit finden wir reichlich einzelne Puzzleteile, vergessene Würfel oder überflüssige Spielsteine, auch allerhand anderen Kram, der nicht an seinem Platz ist.
Zum Mittag bestellen wir uns Pizza, denn die Kantine hat natürlich zu.
„Nächstes Mal müssen wir unbedingt wieder mit den anderen zusammen aufräumen“, sagt Grietje beim Essen. „Das ist viel lustiger.“
„Warum tun wir es dieses Mal nicht?“, erkundigt Bernard sich.
„Wir haben keinen gemeinsamen Termin gefunden, irgendwer hat immer schon einen anderen Termin gehabt, es klappte nie. Die Vierhoeken haben schon im Dezember ihren Saubertag gehabt und die Cirkelen sind morgen dran.“
„Warum sind wir denn dann nicht morgen hier?“, will Shelley wissen.
„Du kannst gerne hingehen, wenn du möchtest, ich bin auf einer Silberhochzeit eingeladen. Das ist zwar erst abends, aber die Feier findet in Schleswig statt. Da muss man ja auch erst mal hinkommen.“
„Wo ist denn das?“
„In Norddeutschland, fast schon in Dänemark. Meine alte Schulfreundin Emma musste ja unbedingt einen Marineoffizier mit Wikingerverwandtschaft heiraten!“
„Offenbar war es eine gute Idee, sonst würden sie ja nicht die Silberne feiern.“
„Ja. Wir waren damals zwar alle dagegen, weil sie sich auch erst drei Monate kannten, aber hinterher habe ich gedacht, wir hätten zu ihr stehen sollen. Es wäre schöner gewesen – für uns alle. Zum Glück ist sie nie nachtragend gewesen und hat uns verziehen. Mit den meisten hat sie auch noch Kontakt. Deswegen ist es umso wichtiger, dass ich zu ihrer Silberhochzeit komme, wenn ich schon bei ihrer richtigen Hochzeit nicht dabei war.“
„Hast du sie denn in der Zwischenzeit nicht gesehen?“
„Doch, oft. Aber so ein Ehejubiläum ist doch etwas ganz besonderes.“
„Wie weit fährt man bis Schleswig?“, fragt nun Bernard.
„Etwas über fünfhundert Kilometer. Wenn wir gut durchkommen, sind wir am frühen Nachmittag da, sagt Jost. Hoffentlich geraten wir nicht in den Rückreiseverkehr, denn die deutschen Schulen fangen auch am Montag wieder an.“
Jetzt klingelt es an der Tür und ich verlasse die Erinnerungsrunde. Es ist der Postbote, der ein Päckchen abzugeben hat, es ist allerdings nicht für mich und ich lege es der Kollegin in ihr Fach. Auf dem Rückweg in den Pausenraum mache ich in der Küche halt und nehme mir eine Flasche Apfelschorle aus dem Kühlschrank.
Zwischen der Küche und dem Pausenraum fällt mir noch etwas ein und ich gehe zurück ins Büro, wo das Telefon auf der Ladestation steckt. Ich rufe zuhause an, doch dort ist niemand. Also wähle ich Miloš’ neue Handynummer(214) und als er sich meldet, sage ich: „Hoi, ich bins. Ich hab heute früh vergessen, Brot einzukaufen und wir wollen hier jetzt weiter machen. Kannst du gleich welches holen?“

404

„Man kann durchaus ohne Alkohol Spaß haben“, grinst er.(212)
„Das sag ich Ihnen. Man muss nur ein paar Stunden mit den beiden Kerlen hier rumhängen und hat mehr gelacht als bei einer versoffenen Party.“
„Und am nächsten Tag hat man keinen Kater.“
„Sehr richtig.“
„Hat es Ihnen geschmeckt? Kann ich die Teller abräumen?“
Wir sind uns einig darin, dass wir sehr gut gegessen haben und helfen beim Zusammenräumen des Geschirrs.
„Sagen Sie“, fällt Merle ein, „wissen Sie zufällig, ob der Koch vom 4020 eine neue Stelle hat? Wir haben vorhin drüben gehört, dass er gestern seinen letzten Arbeitstag hatte.“
„Nein, keine Ahnung. Ich habe mitbekommen, dass ein neuer Koch gesucht wird, schon länger. Aber sämtliche Details entziehen sich meiner Kenntnis. Ist mir auch nicht so wichtig, solange meine Köchin bei mir bleibt.“
„Wenn die Köchin gehen will, bieten Sie ihr so lange mehr Geld, bis sie ihre Entscheidung zurück nimmt“, sagt Miloš ernst. „Sie ist jeden Cent einzeln wert.“
„Es freut mich, dass Sie mit ihrer Arbeit zufrieden sind. Wenn Sie ab jetzt öfter kommen, hören Sie aber bitte auf, meine Frau zu küssen.“
Er errötet. „Das ist nichts persönliches. Eine rein fachliche Anerkennung.“
Jetzt ist es Merle, die fast platzt. „Eine rein fachliche Anerkennung! Du bist zu komisch!“

Sie braucht bis Egmond, bis sie sich von diesem Wortwechsel erholt hat. Immer wieder bricht wieherndes Lachen aus ihr. Zum Glück hat Miloš sie überreden können, ihn ans Steuer zu lassen, sodass das keine Auswirkungen auf die Fahrweise hat. Ihr Fahrstil ist nämlich nicht hilfreich, wenn man gerade viel gegessen hat.
Weil es schon halb vier ist und bald dunkel wird, lotsen wir ihn erst zum Strand. Die Schranken am großen Parkplatz direkt hinter den Dünen stechen in den grauen Himmel, dennoch steht kein Auto darauf.
Auch auf dem Weg durch die Dünen begegnet uns keine Menschenseele.
Oben auf der letzten Dünenkette vor dem Meer bleiben wir stehen. Mir ist so danach, und ich lege meinen linken Arm um Merle und den rechten um Miloš und ziehe die beiden zu mir. Merles Arm legt sich direkt um mich, Miloš lässt sich mehr Zeit, bis er die Geste erwidert.
Nachdem wir dem Wind ein paar Minuten getrotzt haben, gehen wir runter an den Strand. Ich weiß nicht wie es angefangen hat und wann und warum, aber als wir unten angekommen sind, halten Merle und ich uns an den Händen. Miloš ist weit voraus, ich will meine Hand losmachen und hinterher, aber sie schaut mich bettelnd an. „Es ist so schön warm.“
Verrückterweise muss ich genau jetzt daran denken, was Merles Geschwister aus unseren beiden Namen machen könnten. Mermy? Jerle? Das klingt alles sehr seltsam.
Sie bleibt im Windschatten des leeren Strandcafés stehen. Ich lehne mich an einen der vom ewigen Flugsand geglätteten Pfeiler und schaue den grauen Wolken zu, wie sie über den grauen Himmel jagen.

Bei Merles Vater(213) bekommen wir alle zusammen Kaffee und Plätzchen, Merle bekommt außerdem heißen Grog und Miloš für fünfzig Euro ein Mobiltelefon, das noch kein Jahr alt ist.
Seine Freundin versucht uns zu überreden, zum Abendessen zu bleiben, aber ich will nach Hause. Der Tag war ereignisreich und ich will lieber in Ruhe ein Käsebrot essen als noch eine fremde Küche testen und noch mehr Leute kennen lernen und noch mehr in meinen ohnehin randvollen Kopf füllen.

403

„Papa.“
„Na klar, und wenn ich ihn anrufe, rede ich ihn mit Papa an. Was ist sein Nachname?“
„Erstaunlicherweise der selbe wie meiner.“
Miloš verdreht die Augen. „Sag mir deinen Nachnamen.“
Lachend frage ich: „Wieso weißt du den nicht, du merkst dir doch sonst alles?“
„Weißt du ihren Nachnamen?“, kontert er.
„Na sicher. Kleiner Tipp: er steht an ihrem Briefkasten.“
Er verdreht die Augen noch mehr. „Und, was steht an ihrem Briefkasten?“
„Das selbe wie auf der Klingel“, quiekt Merle vor Lachen.
Er seufzt tief. „Was steht am Briefkasten und an der Klingel und auch am Briefkasten und der Klingel vom Papa, von Theo, von Maurice, von Pippi, von Sylvie?“
„Bei Mama und Opa Heijn steht es auch dran!“
Ich schätze unheimlich an ihm, dass er so gutmütig ist und dass er jeden blöden Scherz mitmacht; wenn es sein muss, stundenlang. Und dass er sogar dann noch lachen kann, wenn es auf seine Kosten geht. Was das betrifft, ist er der beste Witzpartner für mich, den es auf der ganzen Welt gibt. Weil man das aber auch nicht überstrapazieren darf, komme ich ihm entgegen und löse das Dings auf: „Van Wieringen.“
Sein Seufzer ist so tief, dass er weit unterhalb des Herzens entsprungen sein muss. „Jeremy, ich danke dir.“
„Wir können auch zu ihm fahren, er wohnt in Egmond, das ist ja nicht weit von hier.“
„Dein Papa wohnt in Egmond? Dann müssen wir da unbedingt an den Strand.“
„Heute früh, als es noch schön war draußen, hast du mich angemeckert, weil ich dich aus dem Bett gezerrt habe und jetzt willst du freiwillig bei Sauwetter an den Strand? Was hast du, wenn ich Anwandlungen habe?“
„Warst du denn schon mal in Egmond?“
„Nein, was gibt es da Besonderes?“
„Den allerwunderschönsten Strand des Landes. Er ist wahnsinnig breit und flach und toll und lang und wunderschön.“
„Aha“, macht er belustigt. „Da ich heute das erste Mal in meinem Leben durch so ein Wasserrutschenrohr geflutscht bin, kann ich ja auch noch zum allerwunderschönsten Strand des Landes gehen. Apropos, hast du das nicht auch schon über die Strände auf Dersummeroog und den in Workum gesagt?“
„Nein, ganz bestimmt nicht, höchstens, dass sie die schönsten der Insel sind. Und dann auch nicht über alle Strände, sondern nur über einen. Die können ja nicht alle zugleich die schönsten sein, wo bleibt denn da der Sinn eines Superlativs? Und der bei Workum ist der einzige Natursandstrand am IJsselmeer, das ist wieder eine andere Kategorie.“
Merle findet etwas anderes interessanter. „Warum bist du noch nie auf so einer Wasserrutsche gewesen?“
„Es gab keine Gelegenheit. In Peckovar hatten wir nur so ein normales Schwimmbad mit ein paar Bahnen nebeneinander, Drei- und Fünfmeterbrett und einem Nichtschwimmerbecken. Ausreichend für den Schulsport. Die Eltern von einem aus der Klasse hatten einen Pool mit Rutsche, aber das war bloß eine längere Spielplatzrutsche. Im Sommer hat man sich meist den Arsch dran verbrannt, wenn nicht mindestens zwei Leute ständig mit Wassereimern unterwegs waren, um das Blech nass zu halten.“
„Ich kann es mir lebhaft vorstellen“, schmunzele ich. „Und, wie war dein erstes Mal?“ In das schallende Gelächter der beiden rufe ich: „Also, die erste Wasserrutschenfahrt!“
Miloš platzt fast vor Lachen. „Flutschig!“
Jetzt tritt ein Mann in überwiegend weißer Küchenkleidung an unseren Tisch. „Entschuldigen Sie, könnten Sie bitte etwas leiser sein?“, fragt er höflich.
Merle wischt sich die Lachtränen vom Gesicht. „Wir müssen uns entschuldigen, das ufert ein bisschen aus. Vermutlich ist das nicht sehr glaubhaft, aber wir sind alle stocknüchtern.“

402

„Klar. Alles kann sein. Aber du würdest deinem Restaurant ja auch nicht einfach so einen polnischen Namen geben.“
„Ich habe noch nicht über mein eigenes Restaurant nachgedacht.“
„Und die Erde ist eine Scheibe.“
Verlegen wirft sie mir ihre Serviette an den Kopf. „So etwas wie 4020 ist zu unpersönlich und „bei Merle“ werde ich es sicher nicht nennen. Wenn ich es mit meinem Partner zusammen habe, dann wird es nach der Namenskombination heißen.“
„Namenskombination?“, unterbreche ich.
„Jennice, Antolly und so.“
Die Getränke kommen und mit ihnen mein Salätchen. Leider ist es nur sauer eingelegtes Raspelgemüse, aber es gibt Brot dazu. Ich gebe direkt die nächste Bestellung auf, ich möchte als Vorspeise die Lauchcremesuppe, aber bitte ohne Speck. Merle nimmt sie auch, aber bitte mit Speck.
Miloš setzt sich zurück an seinen Platz. „Keine Yugo, sondern eine Wienerin, die mal mit einem Yugo verheiratet war“, teilt er mit.
„Da kann sie ja zuhause viel gelernt haben“, sage ich.
„So ist es.“
„Hä?“, wundert Merle sich, „Was soll denn das heißen?“
„Wien ist die drittgrößte serbische Stadt außerhalb Serbiens“, klugscheiße ich fröhlich.
„Was du weißt!“, bewundert sie mich lachend.
Der Kellner kommt noch einmal an unseren Tisch, um Miloš’ Bestellung entgegen zu nehmen. Er möchte lauter Sachen haben, die ich nicht aussprechen kann, auch wenn in der Speisekarte keine kyrillischen Buchstaben stehen. Der Kellner kann sie auch nicht aussprechen und möchte lieber die Nummern der Gerichte genannt haben.
Kurz darauf kommen die Vorsuppen – in der Küche scheint nichts los zu sein, sonst wären die Leute nicht so schnell – und bald danach schon das vielteilige Hauptmenü. Jetzt ist fast kein Platz mehr auf unserem Tisch.
„Könnt ihr mir bitte einen Gefallen tun?“, fragt Miloš, als er hier und da probiert hat.
„Klar, welchen?“
„Sprecht mich nur noch auf serbisch an, bis ich mit dem Essen fertig bin.“
„Warum denn das?“, will Merle wissen.
Er gibt keine Antwort.
„Hallo, warum?“
„Du musst schon serbisch fragen, warum er das will.“
„Witzig. Jedan, twa, drie, dingenskirchen. Mehr serbisch kann ich nicht.“
„Tja, dann wird’s mit der Kommunikation schwierig.“
„Hat der so was öfter?“
„Wir haben eine Testreihe gestartet. Ich versuche, serbisch zu kochen. Und wenn das gut gelungen ist, redet er auch nicht beim Essen. Wahrscheinlich gibt es Zusammenhänge.“
„Schräger Vogel“, brummt sie kopfschüttelnd und widmet sich ihren Cannelloni.
In kurzen Abständen kommen jetzt andere Gäste, vermutlich sind wir einfach vor der üblichen Mittagszeit eingetroffen. Man scheint sich zu kennen.

Nachdem seine Teller und Schüsselchen leer sind, steht er mit entrücktem Blick auf und verschwindet in der Küche. Als er nach ungefähr zwei Minuten lächelnd zurück kommt, sagt er: „Jetzt können wir wieder reden.“
„Na, da sind wir ja alle froh“, grinst sie. „Und denk dir, was fällt mir als erstes ein? Ruf mal meinen Papa an. Er hat zu Weihnachten ein Smartphone bekommen, aber sein altes Handy funktioniert noch gut.“
„Was will er dafür haben?“
Sie hebt die Schultern. „Ich hab ihm bloß erzählt, dass deins geklaut wurde und da hat er gesagt, du sollst dich bei ihm melden. Du kannst gleich mit meinem Handy telefonieren.“
„Wie heißt er?“

401

„Das entzieht sich meiner Kenntnis, fragen Sie bitte den Chef des Hauses. Wollen Sie nun den Zweiertisch oder wollen Sie warten?“
Ich gucke auf den angewiesenen Tisch. Er steht zwischen dem Küchenausgang und der Tür, die zu den Toiletten führt. Eine Geschirrmenge für ein mittleres Gelage türmt sich darauf – das kann nicht von einem bzw. zwei Gästen stammen, eher wird es der Rückstau von der Spülmaschine sein.
Merle fertigt die junge Frau unfreundlich ab: „Ich wollte nicht auf der Autobahn sitzen, sondern etwas essen. Es war ein Fehler, überhaupt hierhin zu kommen. Jungs, wir gehen.“
„Sei doch nicht so gemein zu ihr!“ Miloš lächelt der Kellnerin im Rausgehen zu.
Vor der Tür schimpft sie los: „Ich fass es nicht! Er hat Armand rausgeschmissen! Den letzten, der es mit ihm ausgehalten hat!“
„Du weißt nicht, ob Armand vielleicht selber gekündigt hat.“
Sie hört mir gar nicht zu. „Den besten Koch, den er kriegen konnte! So ein hirnverbranntes Arschloch! Schande auf den Wichser! Und als Ersatz für mich stellt er so ein aalglattes Karriere-Mädelchen ein! Ich könnte kotzen!“
Ich packe ihre Schultern und schüttele sie. „Hör endlich auf!“ Ihr sinnloses Gezeter geht mir zunehmend auf die Nerven.
Miloš trennt uns. „Es reicht“, sagt er ruhig. „Jeremy wird zum Tier, wenn er nicht augenblicklich etwas zu essen bekommt. Willst du das? Ich sage dir, du willst es nicht. Bring uns also schleunigst zur nächsten guten Küche. Und dann will ich für den Rest des Tages nichts mehr über deinen alten Chef hören. Verstanden?“
„Verstanden“, knurrt sie.


hundertzweiundzwanzigstes Kapitel

Zwei Straßen weiter stoßen wir auf „Pendovski“, ein Restaurant, in dem laut Aushang interna­tionale Spezialitäten geboten werden.(211) Von den Äußerlichkeiten könnten die Unterschiede nicht größer sein. Im 4020 ist alles stylisch und hip. Hier müsste dringend renoviert werden. Die Einrichtung ist zwar sauber, aber alt und abgenutzt. Und nach dem Getöse herrscht hier fast Stille, aber es ist auch nicht viel los; nur zwei Tische sind besetzt. Wir lassen uns nieder.
Vom dem einen Tisch steht ein älterer Mann auf und bringt uns drei Speisekarten.
„Guten Tag. Wissen Sie schon, was Sie trinken möchten?“
Merle hätte gern eine Cola, Miloš ein Mineralwasser und ich eine große Apfelschorle. Ich ordere auch gleich einen Salat, das geht fix und wird mein Überleben sichern.
Miloš fragt den Kellner nach der Küche.
„Was willst du da?“, erkundigt sie sich.
„Es gibt ein paar Dinge zu klären“, winkt er ab und geht zur angewiesenen Schwingtür.
„Da“, ich tippe mit dem Zeigefinger auf ihre Karte, „es gibt jugoslawische Gerichte. Er muss bestimmt mit dem Koch die Zutatenliste besprechen.“ Die Preise sind winzig und die Erklärung dafür steht am Fuße jeder Seite: die Portionen sind es auch. Das haben die Besitzer des Hauses sich ausgedacht, damit man mehr als ein Gericht essen kann – oder, wenn man nur einen kleinen Hunger hat, nicht die Hälfte wegwerfen muss. Ein derart schonender Umgang mit Lebensmitteln ist mir noch in keinem Restaurant begegnet.
„Wenn es ein Yugo ist“, orakelt sie.
„Ist es keiner?“
„Ich weiß die Nationalität nicht, aber ich glaub, es ist die Frau vom Chef.“
„Und der Chef ist der Mann da drüben?“
„Nein, der sieht anders aus.“
„Aber wenn der Laden Pendovski heißt, muss der Balkan ja irgendwie beteiligt sein.“
„Pendovski klingt eher polnisch.“
„Dann wären polnische Gerichte auf der Karte und keine jugoslawischen und Miloš wäre jetzt nicht in der Küche.“
„Aber es kann doch trotzdem sein?“, will sie nicht nachgeben.

400

Reichlich Leute sind auch schon auf die Idee gekommen, denn inzwischen sind nicht nur Wolken vor die Sonne gezogen, sondern es nieselt und windet und ist saukalt. Das müssen Reste vom Altjahreswetter sein, denn ein neues Jahr fängt doch nicht mit so fiesem Wetter an! Umso mehr war der Morgen ein Wunder. Miloš hat recht, wir haben es erlebt und konnten uns dran freuen. Wer später aufgestanden ist, hat nichts mehr davon gesehen.
Natürlich sind wir schneller umgezogen als Merle. Wir warten in der Nähe der Umkleiden, damit sie uns leicht findet. Über uns spreizen ein paar Palmen ihre grünen Fächer, darüber befindet sich eine der acht Glaskuppeln. Aus der Ferne sieht das mare vita aus wie ein paar große Seifenblasen. Unter der höchsten Blase ist der Turm mit den Wasserrutschen. Die längste ist 120 Meter lang.

„Die haben dich ja übel zugerichtet!“, stellt Merle fest, als sie zu uns kommt.
Miloš winkt ab. „Es ist schon fünf Tage her.“
„Eben. Es ist fünf Tage her und du siehst furchtbar aus.“
Stimmt. Er sieht wirklich wüst aus. Im Gesicht sind die Schwellungen gut abgeklungen, aber an Brustkorb, Rücken und Bauch sieht man noch die Spuren der Tritte und Schläge. Er zieht damit auch einige Blicke auf sich.
„Wohin gehen wir zuerst?“, lenkt er ab.
„Dreh dich um“, lässt sie sich nicht ablenken.
Er gehorcht.
„Du Armer“, sagt sie mitfühlend. „Es muss schrecklich weh tun.“
„Ich habe schon schlimmeres abbekommen“, sagt er, was ein Mann in der Situation einfach sagen muss.

Wir sind nicht die einzigen, die auf die längste Rutsche wollen, die halbe Treppe steht voller Leute, die das selbe Ziel haben. Deshalb reihen wir uns in eine kürzere Warteschlange ein.
„Du solltest Toni davon sagen. Du warst auf dem Heimweg von der Arbeit, es kann sein, dass du versichert bist. Vielleicht sponsert er dir einen neuen Anzug.“
„Danke, ich will nicht schon wieder etwas auf Vorschuss kaufen. Es reichte schon, dass ich ein halbes Jahr lang den Führerschein abbezahlen musste.“
„Von Vorschuss war keine Rede. Du brauchst den Anzug für die Arbeit, ohne kannst du den Kellnerjob nicht ausüben. Wenn ihm was dran liegt, dass du für ihn arbeitest, gibt er dir was dazu, damit du nicht das billigste Modell nehmen musst. Ich frag ihn, wenn du willst.“
„Lass mal, das schaffe ich wohl auch alleine.“
Wir sind am Schlund des Rutschenrohres angekommen und ich lasse Merle den Vortritt. Mit einem Juchzen stürzt sie sich Kopf voraus in die Tiefe.
Während die Ampel auf Rot springt, erkundigt Miloš sich leise: „Kann man sich da stoßen? Ich habe im Moment noch genug Beulen.“
„Wenn du dich nicht so rein wirfst wie sie, wird nicht viel passieren. Geh mit den Füßen zuerst rein. Es ist auch nur hier am Anfang so steil.“
Die Ampel zeigt grün und er verschwindet im Rohr.

Schon um eins habe ich einen Mordskohldampf, aber ich halte mich zurück, bis mir sogar die Fortbewegung zu Lande Schwierigkeiten bereitet. Wir schenken dem Bad die letzte halbe Stunde des Eintrittsgeldes und fahren in die Innenstadt zu Merles ehemaliger Arbeitsstätte.
Das Restaurant namens 4020 ist rappelvoll und entsprechend laut. Eine junge Kellnerin kommt auf uns zu, begrüßt uns und fragt: „Haben Sie reserviert?“
„Nein“, antwortet Merle. „Ist Armand in der Küche?“
„Nein, gestern war sein letzter Arbeitstag. Wenn Sie nicht reserviert haben, könnte ich Ihnen einen Zweiertisch anbieten, an den wir einen dritten Stuhl stellen. Oder Sie warten ein paar Minuten, bis entweder andere Gäste gehen oder eine Reservierung verfällt.“
„Warum ist Armand nicht mehr da?“

399

Ich erhalte das Telefon und anstatt meines üblichen „Ja?“ sage ich: „Kusturica und Van Hoorn, Van Hoorn am Apparat. Ein gesegnetes neues Jahr.“
„Machst du jetzt auch schon bei dem Theater mit? Sag ihm, er soll endlich was anfangen mit seinem Leben und eine Firma gründen und der Chef sein, dann kann er sich bei jedem Telefonat so melden.“
„Ich werde es ausrichten. Warum rufst du an?“
„Maurice hatte Mama, Theo, Polly und mich samt Anhängen zum Neujahrsbrunch eingeladen, aber plötzlich ist der Kleine krank geworden und er musste es vorhin absagen. Das heißt, ich hab jetzt gar nichts zu tun. Da hab ich mir gedacht, ihr könntet zeitig wach sein. Immerhin wird es ja gestern keine Exzesse gegeben haben – zumindest nicht mit Alkohol.“
„Wie kommt’s eigentlich, dass du dich nach der Absage nicht wieder ins Bett verkrümelt hast? Warst du gestern nicht feiern?“
„Doch, aber nicht lange. Es war ja geplant, um elf bei Jennice aufzulaufen.“
„Wer ist denn Jennice? Ich denke, ihr wolltet zu deinem Bruder?“
„Jennice ist die Mischung aus Jenny und Maurice. Jenny ist Maurices Frau, meine Schwägerin. Theo ist irgendwann auf die Idee gekommen, die Namen zusammenzulegen. Wie könnten demnach Polly und ihr Mann Antonio heißen?“
„Pollonio?“
„Sehr hübsch!“, lobt sie. „Wir haben uns allerdings auf Antolly geeinigt.“
„Und wie heißen Pippi, Theo und … wie heißt noch mal die Schafzüchterin?“
„Sylvie. Theo ist seit kurzem mit Clarice zusammen, das macht Clareo oder Therice, wir sind uns noch nicht schlüssig. Und wir drei anderen heißen im Moment so, wie uns die Eltern genannt haben, weil wir allesamt Singles sind. Als ich noch mit Eric zusammen war, hießen wir Meric.“
„Da ist ja nicht viel von dir drin. Also, drei Buchstaben, aber man hört nur seine.“
„Das hast du sehr treffend formuliert. Es war zu viel von ihm drin und zu wenig von mir. Aber zurück zur Ausgangsfrage: Was werdet ihr heute tun und wollt ihr mich dabei haben?“
„Wollen wir sie dabei haben?“, frage ich Miloš.
„Natürlich!“, ruft er laut genug, dass sie es auch hört.
„Also, pass auf, die Reihenfolge ist: Frühstück, Proberaum, Hallenbad und dann mal sehen. Komm jetzt her oder pick dir raus, was du haben willst. Zum Frühstück musst du dich aber ein bisschen beeilen, wir haben schon angefangen.“
„Wollt ihr nachher ausprobieren, ob der Heilige Geist auf Miloš niedergeht und ihn daran hindert, seine neuen Lieder zu präsentieren? Was machst du, wenn es wieder keine Musik gibt? Ich hab eine bessere Idee: Wir fahren direkt ins Hallenbad, danach was essen und hinterher ins Kino. Irgendein lustiger Film wird laufen.“
„Nur, wenn wir Armands Gemüsesuppen testen.“
„Äh … wollen wir nicht doch lieber bei eurer Reihenfolge bleiben?“
„Nix da, Schätzchen. Zu welchem Hallenbad fahren wir?“
„Willst du nicht erst Miloš fragen, ob er einverstanden ist?“
„Ist er“, greife ich vor und will wissen: „Wo schwimmen wir?“
„Wollt ihr Sport treiben oder eine entspannte Zeit in Badehosen verbringen?“
Das bringt mich auf eine Idee. „Wie wärs mit dem mare vita? Da war ich lange nicht.“
„Sehr gut. Ich hole euch ab.“

Das mare vita ist vor ein paar Jahren in einem Alkmaarder Vorort gebaut worden. Es ist ein großes Wellness- und Spaßbad mit kleinen und großen Becken mit kalten, warmem und ziemlich heißem Wasser, mit Wasserrutschen, Whirlpool, Sauna, Solarium, Dampfgrotte, Solebecken und so weiter.
In vier Stunden müssen wieder umlernen von Kiemen- auf Lungenatmung oder am Eingang nachzahlen. Ich denke aber nicht, dass es dazu kommen muss. Nach vier Stunden mit all den Attraktionen habe ich meist mehr Hunger als sonst irgendwas.

398

„Zieh die Hausschuhe an!“
Weil Gegenwehr sowieso nichts bringt, tue ich murrend, was er sagt.
Er bugsiert mich die Treppe herab, durch die Küche und auf die Terrasse. Die kalte Morgenluft raubt mir den Atem. Gerade geht die Sonne auf.
„Was soll ich hier?“
„Guck doch mal!“, fordert er mich auf.
„Ich gucke! Was soll ich hier?“
„Es ist wunderschön!“ Wild wedelt er mit der einen Hand herum. Mit der anderen hält er dankenswerterweise meine Decke fest. Leider hat er sie so eng um mich geschlungen, dass ich die Arme nicht bewegen kann. Ich komme mir vor wie eine Mumie. Eine Mumie am Nordpol.
„Alles glitzert!“, begeistert er sich. „Und die Sonne! Und der Nebel!“
„Bist du wahnsinnig? Dafür schmeißt du mich aus dem Bett?!“
„Guck es dir doch wenigstens an“, bettelt er.
Wie befohlen gucke ich mir an, was ihn so in Entzückung versetzt.
Alles glitzert. Stimmt. Die Nacht war eisig, jetzt ist jeder Grashalm und jedes Blatt und jede Zaunlatte mit Raureif bedeckt. Weil die Sonne darauf scheint, glitzert alles.
Und die Sonne. Ja, die hat es schon ein paar Meter über den Horizont geschafft. Zwischen ihr und uns sind die Wiesen hinterm Haus und die alten Bäume vom Julianapark, und:
Der Nebel. Er steht auf den Wiesen, durch die sich die schmale Entengracht windet, die die Gracht vorm Haus mit den Wallanlagen verbindet. Der Nebel reicht bis hin zum Julianapark und die Sonnenstrahlen malen weißgoldene Schrägstreifen durch die kahlen Äste.
„Gott hat die Welt heute früh hübsch gemacht, damit wir es sehen und uns freuen. Der erste Morgen im neuen Jahr“, sagt er.
„Darf ich endlich wieder rein? Mir fallen die Ohren ab und diverse andere Körperteile.“
„Du genießt es gar nicht“, stellt er erschrocken fest. „Findest du es wirklich hässlich?
„Nein, es ist schön, aber vor allem ist mir schön kalt!“ Damit flüchte ich ins Warme.
Ist er immer noch in schwierigen Zuständen? Haben wir nach der gestrigen Zickerei die zweite Stufe erreicht, nämlich ungewohnte Gefühlsduselei? Ist er schwanger? (Von wem?) Womit muss ich als nächstes rechnen?
Kann ich bitte meinen verschlossenen Kumpel zurück haben? Das war auch nicht einfach, aber einfacher als das hier.

Als ich am gedeckten Frühstückstisch angekommen bin, ist mein Groll verflogen. „Du hast recht, es war wunderschön. Allerdings war ich noch im Tiefschlaf.“
„Ich weiß“, grinst er, „es gibt freundlichere Momente in deinem Tagesablauf. Aber ich konnte nicht warten, bis du von alleine wach geworden bist. Guck es dir jetzt an, Wolken sind aufgezogen und es ist ein normaler Wintermorgen.“
„Du bist echt verrückt mit deinen ästhetischen Anwandlungen!“(210)
„Ästhetische Anwandlungen?“, wiederholt er amüsiert, aber bevor mir noch mehr dazu einfällt, wechselt er das Thema: „Hast du heute schon was vor?“
„Nee.“
„Wenn du trotz meiner Anwandlungen Zeit mit mir verbringen willst, könnten wir in den Proberaum gehen und ein bisschen Musik machen–“
Ich unterbreche: „Und hinterher mal sehen, welches Hallenbad auf hat. Das passt ja jetzt immerhin zum Wetter.“
Grinsend zeigt er auf mich. „Da sitzt er, der Mann mit den guten Ideen.“
Noch etwas unterbricht, nämlich das Telefonklingeln. Miloš sitzt näher dran, meldet sich und das klingt immer sehr seriös: „Van Hoorn und Kusturica, Kusturica am Apparat.“
Gleich darauf ist es aber vorbei mit seriös, er lacht, „Guten Morgen liebe Merle! Ich wünsche dir auch ein sehr frohes neues Jahr. Und na klar darfst du mit ihm reden!“

397

Ich tupfe etwas Öl auf meinen Zeigefinger, male ihm damit ein Kreuz auf die Stirn und sage: „In Jesus’ Namen, Angst, du hast kein Recht an Miloš. Verschwinde dahin, wo du hergekommen bist.“
Er atmet mehrmals durch, als sei eine messbare Last von ihm genommen worden.
Wenn ich er wäre, wäre ich jetzt lieber alleine. „Ich geh runter und koch uns was“, mache ich es ihm leicht.

Ich habe gerade die beiden Nudelsoßen fertig – eine mit Hackfleisch, eine ohne, als er zwischen Pfeiler zwei und drei in die Küche schaut. „Ich habe eine Frage.“
„Nur zu“, lade ich ihn freundlich ein. Er sieht wieder viel besser aus.
„Wie machst du das, dass der Heilige Geist kommt und witzige Dinge in mir anstellt?“
„Ich mache das nicht.“
„Ach so, ich brauche dich ja angeblich nicht dafür. Aber wie macht man das?“
„Nein, es hat nichts mit mir oder dir zu tun, sondern der Heilige Geist macht es. Er entscheidet, ob er dich sanft oder fest berührt oder umhaut oder nicht. Und du kannst ihn auch nicht zwingen oder locken oder überreden. Denk an Samstag im Proberaum. Da habe ich nicht für dich gebetet und dir nicht die Hände aufgelegt und trotzdem ist er über dich gekommen.“ Ich schütte die Nudeln ab.
„Du hast nicht gebetet? Ich dachte … vielleicht ohne, dass ich es mitbekommen habe?“
„Nein, ganz sicher nicht, ich wollte ja deine neuen Lieder hören.“
„Aber warum denn dann?“
„Du bist verknallt in ihn und willst ihm ein Lied singen und er ist verknallt in dich und umarmt dich, und peng.“
„Ach“, macht er langsam. „Meinst du, es bleibt so, wenn ich die Lieder singen will?“
„Frag mich doch mal Sachen, die ich beantworten kann!“, schnaube ich lachend.
Er deckt Teller und Besteck auf und legt die benötigte Menge Untersetzer dazu. Dann nimmt er die beiden Soßentöpfe und ich bringe den Nudeltopf mit. Ich bete fürs Essen und nach ein paar Gabelfüllungen sagt er: „Jeremy, weißt du, was das verrückteste an der ganzen Sache vom Samstag war? Als ich wieder aufgewacht bin, tat mir fast nichts mehr weh, die Schwellungen hier im Gesicht waren weg und der Zahn ist seitdem wieder fest. Und das Knie ist auch viel besser gewesen. Sonst hätte ich ja nicht mit dem Fahrrad nach Hause fahren können. Hast du dafür vielleicht eine Erklärung?“
„Eher eine Vermutung, wie gesagt bin ich ja kein Geist-Experte. Also, es kann sein, dass er mit seiner Heiligkeit in deinem Körper keinen Platz gelassen hat für Verletzungen und Schmerz, sodass die Heilung übernatürlich schnell voranging.“
„Krass“, sagt er andächtig und das sehe ich genauso.
Es wäre gut, so einen Geist-Experten zu haben. Der könnte mir dann auch ein paar wichtige Dinge erklären, die ich anscheinend immer noch nicht begriffen habe, obwohl ich den Heiligen Geist schon jahrelang kenne. Leider habe ich keine Ahnung, an wen ich mich deswegen wenden könnte. Ich weiß nur, an wen ich mich nicht wenden sollte.


hundertzweiundzwanzigstes Kapitel

Ich werde wach, weil jemand an meiner Schulter rüttelt.
„Was willst du?“, maule ich verpennt.
„Komm, steh auf, das musst du sehen!“
„Was'n los?“
„Beeil dich!“
Ich will mich wieder rumdrehen, aber mein schrecklich munterer Mitbewohner nimmt mir die Bettdecke weg, stellt mich auf meine Füße und wickelt die Decke um mich.
„Will nicht im Stehen schlafen!“

396

Ungefähr eine halbe Stunde lang versuche ich äußerst erfolglos, die dröhnende Stille zu ignorieren. Schließlich ergebe ich mich und gehe nach oben. Soll ich anklopfen? Das habe ich noch nie gemacht. Der Gedanke fühlt sich total fremd an. Also nicht klopfen. Ich fasse die Klinke an und drücke sie herunter. Immerhin ist nicht abgeschlossen.
Er sitzt auf seinem Bett.
Jesus lässt mich sehen, was er sieht: ein Häuflein Elend.
Das verstehe ich noch viel weniger als sein Benehmen.
„Es tut mir leid, dass ich dir nicht gesagt habe, dass ich segeln gehe.“
„Schon okay.“ Er holt Luft, „Ich wollte dir vorhin auch keine Szene machen.“
Ich setze mich neben ihn. „Und was ist los? Du bist doch sonst nicht so drauf. Komm schon, erzähl.“
Sei vorsichtig, flüstert er mir ins Ohr. Von Miloš ist nichts zu hören.
„Hast du heute schon was Warmes gegessen?“
Er schüttelt den Kopf.
„Soll ich uns was kochen? Ich räum auch hinterher auf.“
Er schüttelt wieder den Kopf.
Pst, macht er und ich warte schweigend ab.
Schließlich sagt er leise: „Das ist das erste Silvester, bei dem ich mich nicht schon vormittags unter den Tisch saufe.“
Aber warum denn, will ich fragen, doch ein weiteres Pst! hindert mich. Statt dessen wendet Jesus den Selektiv-Hören-Trick an und der nächste Böller klingt, als würde er vorm Haus platzen, dabei ist er weit weg.
Jetzt muss ich nur noch eins und eins rechnen. Das Ergebnis lautet: „Ist es wegen der Knallerei? Sie erinnert dich an den Krieg?“
Er nickt.
„Deswegen war es schlimm, dass ich segeln war? Weil ich nicht für dich beten konnte?“
Er nickt erneut.
Weil er so irre Sachen mit dem Heiligen Geist erlebt, von denen ich bis dahin nicht die geringste Ahnung hatte, vergesse ich ständig, dass er blutiger Anfänger ist. In allem!
„Verzeih mir, dass ich das nicht verstanden habe.“
„Verziehen.“
„Hör zu, Miloš. Du bist nicht auf mich angewiesen. Du kannst ohne mich beten, du kannst ohne mich den Heiligen Geist treffen, du kannst ohne mich deine Angst besiegen. Du brauchst mich nicht dafür. Sprich einfach mit ihm, er ist ja bei dir, das weißt du doch. Bitte ihn, dass er die schrecklichen Erinnerungen weg nimmt.“
Nebenan herrscht dreifach laute Stille.
„Sprich es mit mir zusammen“, leiste ich schließlich Hilfe. „Jesus, nimm die Angst weg und die Erinnerungen an den Krieg.“
Blitzartig fällt mir etwas ein. „Bleib hier sitzen“, weise ich ihn an und laufe in die Küche. In der Altglaskiste im Winkel unter der Treppe steht ein Fläschchen, in dem Vanilleextrakt war. Als es leer war, habe ich es gründlich ausgespült und das Etikett abgelöst, weil ich dachte, es noch gebrauchen zu können. Dazu kam es dann doch nicht, aber als ich letzte Woche das Altglas wegbrachte, habe ich vergessen, es mitzunehmen. Jetzt fülle ich mit meinem kleinsten Trichter Olivenöl hinein, das mit sofortiger Wirkung Salböl ist(209) und renne wieder rauf.

395

„Toll, dass du auch schon kommst“, raunzt mein Mitbewohner mich an, kaum dass ich die Küche betreten habe. „Wo warst du die ganze Zeit?“
„Segeln.“
„Du hättest mir Bescheid sagen können!“
Na hoppla … „Wird das jetzt die Pärchen-Nummer, bei der man sich zu jedem Pups absprechen muss?“
„Das hat nichts mit Pärchen zu tun“, knurrt er mich an, „und wann du furzt, will ich gar nicht wissen!“ Wütend verlässt er den Raum.
Welche Laus ist dem denn über die Leber gelaufen?
Ich öffne den Kühlschrank, um mich von seinem Inhalt inspirieren zu lassen. Dann fällt mir ein, dass im Eisfach noch eine Portion von der Torta Verde ist, die tau ich mir auf.
„Und mach nicht schon wieder überall Dreck, ich habe gerade aufgeräumt“, tönt es missgestimmt aus der Küchentür.
Ich gucke gar nicht auf. „Vitaminmangel? Schlafmangel? Bewegungsmangel?“
„Leck mich.“

Wenn ichs nicht besser wüsste, würde ich sagen, ich wohne mit einer Frau zusammen, die gerade in schwierigen Zuständen ist. So hat er mich noch nie angezickt! Insgesamt bin eher ich derjenige, der zickig wird. Was ist also los mit dem Kerl? Leider habe ich keine Erfahrungen mit seinen schwierigen Zuständen, wie gesagt erlebe ich das zum ersten Mal.(208) Folge ich ihm jetzt, kann es richtig sein. Es kann aber auch falsch sein. Bleibe ich hier und warte ab, bis er sich beruhigt hat, kann es genauso falsch sein. Statt mir weiter über das Mitbewohnermysterium den Kopf zu zerbrechen, setze ich Teewasser auf.

Im Haus ist es still. Jedoch ist das nicht die Art von Stille, wie wenn Miloš nicht da ist, sondern sie ist ungefähr doppelt so still, weil er da ist. Sozusagen laute Stille. Weil er in seinem Zimmer sitzt und komisch drauf ist. Bisher, wenn wir gestritten haben, lief das immer so ab: es gab (mindestens für einen von uns) einen konkreten Grund, weswegen wir uns in die Wolle gekriegt haben, dann hat ein Wort das andere gegeben, die Atmosphäre hat sich aufgeheizt, wir haben uns angebrüllt, vielleicht auch mal Türen zugeschlagen, und recht bald danach hatten wir uns wieder lieb.
Aber was hab ich denn heute falsch gemacht? Und wieso benimmt er sich so untypisch?
Sag mal, Jesus, du weißt doch immer alles – was hat er?, frage ich, während ich meine Torta verzehre. Frisch war sie besser.
Geh rauf, entschuldige dich und frag ihn das selber. Ihr seid beide erwachsen, ihr braucht keinen Streitschlichter.
Wofür soll ich mich denn entschuldigen? Er hat angefangen mit dem Gezicke!
Und du hast mitgemacht. Geh jetzt.
Ich hasse diese Totschlagsargumente. Jesus sollte mal einen Kommunikationskurs belegen, da würde er lernen, dass man so keine Beziehung führt.
Als ich aufgegessen habe, nehme ich mir einen Sammelband Lucky Luke aus dem Regal und mache es mir im Wäscheleinenkorbsessel gemütlich.

394

hunderteinundzwanzigstes Kapitel

Obwohl Tante O mich auch dieses Jahr zu Silvester auf die Insel eingeladen hat, bleibe ich daheim. In mir ist eine große Sehnsucht nach Nichtstun und als größter Reise einem Segeltörn hinaus aufs IJsselmeer. Das letzte halbe Jahr war wieder so ein Fall von Daueraktion – ich will nicht rumheulen, das macht ja auch Spaß und es wird nicht langweilig, aber manchmal hätte ich gerne ein langsameres Leben.
Weil es im November und Dezember mild geblieben ist, habe ich es noch nicht über mich gebracht, die Kaap Hoorn einzuwintern. Ich wohne neuerdings gleich nebenan, da kann ich tagsüber nach dem Wetter sehen und sie auf dem Heimweg von der Arbeit winterfest machen, wenn es sein muss.
Früher, als ich noch mit Helena zusammen war, sind wir oft in den Kanälen unterwegs gewesen, denn wir hatten meist ein Ziel. Jemanden besuchen, ein Restaurant testen, irgendwo bummeln gehen oder so. Weil ich es so gewohnt war, habe ich das ungefähr ein halbes Jahr weiter betrieben, aber seit der Zwangspause durch den Ellbogenbruch ist mir nicht einmal mehr in den Sinn gekommen, im Hinterland zu segeln. Jetzt fangen alle meine Törns damit an, dass ich Zuyderkerk hinter mir lasse und weit aufs IJsselmeer hinausziehe.
So ist es auch am Silvestermorgen.
Anscheinend bin ich der einzige, dem diese Idee gekommen ist, das riesige bleigraue Tuch spannt sich leer und weit von Horizont zu Horizont. Hinter mir wird die Kleinstadt noch kleiner, vor mir warten die Elemente.
Es ist regnerisch, der Wind kommt aus südlichen Richtungen. Das sind die Randgebiete eines Tiefs, das den Menschen im Rheinland seit Tagen Dauerregen beschert. Na ja, die werden froh sein, dass es nicht zehn Grad kälter ist. Sonst hätten sie zwar vielleicht weiße Weihnachten bekommen, aber auch Blasen an den Händen vom Schneeschippen.
Dann aber denke ich nicht länger übers Schneeschippen nach. Es ist so wunderwunderschön hier draußen.
Das heutige Farbangebot erstreckt sich von grau über braun bis grün, die meisten Farbtöne hat das Grau. Im Himmel, in den Wolken, im Wasser ist es vertreten, in hunderten Schattierungen, und doch ist nichts düsteres oder gar bedrohliches daran.
Der Wind schlägt in das braune Segel, faucht hinein und pfeift heraus und dabei hat er immer noch Atem genug, mir kalte Luft, Gischt und Regen ins Gesicht zu wehen.

Mein Traum ist es, eines Tages um Europa zu segeln.(207) Eine Insel zum Umsegeln auszusu­chen wäre sicher einfacher. Aber ich will es nicht einfach haben. Das Abenteuer reizt mich!
An Europas Hinterseite warten Kanäle, Schleusen, Flussläufe auf mich, deren Namen ich zum Teil zum ersten Mal las, als mein Plan ganz jung war und ich erstmalig über den „Seeweg“ zwischen der Ostsee und dem Schwarzen Meer nachdachte. Das Mittelmeer darf man sich auch nicht so gemütlich vorstellen, wie es auf der Landkarte aussieht. Und an der Seeseite des Kontinents ist das Segeln sehr herausfordernd, weil es Küstenverläufe mit extremen Windbedingungen gibt.

Mit Einbruch der Dämmerung kehre ich nach Zuyderkerk zurück.
In der Stadt wird schon eifrig geböllert.
Vor ein paar Jahren gab das dazu eine heftige Diskussion in der Kirche. Die Silvesterknallerei sei ein heidnischer Brauch, bei dem die Geister des alten Jahres vertrieben würden, da dürfe man nicht mitmachen, weil Jesus die finsteren Mächte ja überwunden habe.
Ich finde das übertrieben. Solange niemand darüber nachdenkt, dass die bunte Rakete Geister vertreibt, gibt man den Geistern keinen Raum. Sobald ich aber hinter jedem Brauchtum heidnische Rituale sehe – zum Beispiel auch das Hupen bei Hochzeiten – baue ich die Gegenseite unnötig auf.
Natürlich wurde ich für diese Meinung als zu liberal beschimpft.
Dass ich trotzdem nicht bei der Böllerei mitmache, liegt daran, dass ich mein Geld lieber für sinnvolle Dinge ausgebe. Seit vielen Jahren unterstütze ich ein Waisenhaus in Litauen mit einem festen monatlichen Betrag.
Litauen liegt übrigens auf meiner Europa-Segelroute.

393

Sie lacht und stößt mich spielerisch in die Seite.
Der Herd ist längst aus, aber ich hocke immer noch auf der Arbeitsplatte und sie lehnt neben mir. Sie hat Tee aufgebrüht, das tut gut nach der süßen Schlemmerei.
Schließlich fängt sie an: „Also, in Prinzip will ich schon, dass du uns miteinander bekannt machst. Aber nicht jetzt. Das hat ja auch mit Kontrollverlust zu tun und darin bin ich nicht so gut. Ich weiß ganz gerne, was ich tue.“
„Geht mir genauso.“
„Deswegen bist du nie besoffen.“
„Selten“, korrigiere ich ihren Eindruck, „aber du hast recht, vermutlich hat es damit zu tun.“
„Ach“, geht ihr auf, „ist Miloš deshalb so breit, weil ihm das nicht viel ausmacht?“
„Frag mich nicht, das weiß ich nicht. Wenn wir eines Tages im Paradies sitzen und Jesus kommt zum Abendspaziergang, kannst du ihn das fragen. Aber vielleicht ist es dann einfach nicht mehr so wichtig.“
„Momentmoment“, unterbricht sie mich. „Wieso gehst du davon aus, dass ich ins Paradies komme? Ich geh ja gar nicht mit Jesus.“
„Das stimmt, aber du fragst mir Löcher in den Bauch. Scheint so, dass er dich sehr interessiert. Sag mir einen Grund, warum du nicht in den Himmel kommen solltest.“
„Aber man muss doch erst einem Priester alle seine Sünden bekennen!“
„Nö.“
Meine Antwort kam so schnell und so knapp, dass ihr offenbar keine Entgegnung einfällt. Wir schauen uns an und fangen beide an zu lachen.
„Wenn das alles falsch ist, was ich so über Gott gewusst habe – dann sag mir doch mal, was richtig ist.“
„Das tu ich ja schon die ganze Zeit. Was willst du wissen?“
Sie schnauft tief durch. „Ehrlich?“
Ich hatte meine Einladung nicht so gemeint, dass es jetzt ans Eingemachte gehen müsse, aber wenn es ihr auf dem Herzen ist? „Ich bitte drum. Wir führen ja ein ehrliches Gespräch.“
„Ja, das tun wir. Also, eigentlich will ich nur wissen, wie man so sicher wird, dass man geliebt ist. So wie du. Ich glaub, das hab ich gleich als erstes gemerkt, als ich in die Band gekommen bin. Du bist dir sicher, weil du eine Konstante im Leben hast, die unabhängig von Launen und Eigenschaften ist. Natürlich gibt es Dinge, mit denen man dein Ego ganz schön ankratzt und du hast auch mal einen schlechten Tag, aber du weißt, dass du immer zu deinem Jesus gehen kannst und der ist nie genervt von dir, weil du schon wieder den selben Fehler gemacht hast. Das will ich auch haben.“
Ach, liebste Merle, du bist so süß. Herzerweichend!
„Ich kann dir die Sicherheit nicht geben, die ist von Gott. Aber ich bete gerne für dich, dass du sie kriegst und den Rest wird Jesus machen. Ist das okay für dich?“
Sie nickt. „Können wir uns hinsetzen? Dann stoße ich mir nichts, wenn ich umfalle.“
„Du wirst nicht umfallen.“ Ich rutsche von der Platte. „Versprochen.“
„Dann probier ich das mal.“ Sie schaut mich an und sagt: „Ich wär soweit.“
„Gut.“ Ich lege meine Hand auf ihre Schulter. „Jesus, du hast die vielen Fragen zu deiner Person gehört und weißt, dass sie deinen Frieden haben will. Deswegen bitte ich dich, gib ihr, was sie sucht.“
Weil ich nichts mehr sage, fragt sie: „Bist du schon fertig?“
„Ja. Gebete haben keine vorgeschriebene Länge. Ich kann dich natürlich noch ein bisschen segnen, wenn du willst.“
„Au ja, mach das. Dabei wird mir immer so schön warm.“
„Dir wird warm? Wovon?“
„Das weiß ich auch nicht, aber immer, wenn du so gute Sachen betest, wird mir ganz warm. Überall. Sehr angenehm. Ich dachte, du wüsstest, woran das liegt.“
Ich kann mir das Lachen nicht länger verkneifen. „Darf ich vorstellen: So fühlt sich der Heilige Geist an.“
„Aber ich dachte, man kippt um?“
„Nein. Ich hab eben gesagt, er hat für jeden einen anderen Zugang. Miloš kippt um, mir kommen die Tränen, dir wird warm, andere Leute fangen an zu tanzen, sehen Dinge, die sonst unsichtbar sind, reden plötzlich in Fremdsprachen und so weiter. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten.“
Ich segne sie mit Frieden, Sicherheit, dem Wissen, geliebt zu sein, mit guten Freunden, mit heilsamer Gemeinschaft, mit Vergebung und Selber-Vergeben, und ihr Lächeln wird immer intensiver.

392

Ach ja, fällt mir ein, sie ist ja viel sensibler als sie ihre Mitmenschen glauben lässt.
In die Stille hinein rutscht der nächste Pfannkuchen auf meinen Teller und sie stellt mir ein Glas dunkle Schokocreme hin.
Pistazienstückchen sind drin. Köstlich. „Ich hab geheult, weil er mich auch berührt hat. Er hat mir etwas gesagt.“
„Und … ähm … was war das?“
„Er hat mir gesagt, dass er mich liebt.“
Auf einmal hat sie nasse Augen. „Wenn du über deinen Gott redest, kommst du früher oder später immer beim Thema Liebe an, ist dir das mal aufgefallen?“
„Das hat einen ganz einfachen Grund. Gott ist die Liebe.“
„Ich dachte, er wäre Kirchegehen und Bibellesen und so.“
„Nein, das hat nur sehr wenig mit ihm zu tun. Es stimmt, es ist gut, wenn du in der Bibel liest, weil du darin mehr über ihn lernst und auch über dich. Und es ist gut, Gemeinschaft mit anderen Christen zu haben, weil man sich aneinander orientieren kann, sich aufbauen und auch mal ermahnen kann. Aber wenn Christentum nur aus Pflichterfüllung bestehen würde, hätte ich nichts mit Gott zu tun.“
Ratlos schaut sie mich an. „Aber … das wird doch immer so vermittelt?!“
„Oft. Leider.“
„Aber wie ist Miloš dann drauf aufmerksam geworden? Ich mein … also … besonders einladend ist das nicht, was man so vom Christsein hört.“
Wie soll ich das am besten erklären?
Merle interpretiert mein Zögern falsch. „Wenn mich das wegen Miloš nichts angeht, dann frag ich ihn selber. Allerdings wäre das praktischer, wenn du es mir erzählst, weil … wir sind noch nicht in dem Stadium mit den intensiven Gesprächen angekommen, wenn du verstehst, was ich meine.“
„Das verstehe ich sehr gut. Darum ging es nicht bei meiner Pause. Ich versuche es zusammenzufassen. Miloš hat sich recht viel bei Christen rumgetrieben, also im Rahmen der Jesus-Pop-Band und ihrer Auftritte. Und wie die Menschen so sind, waren auch immer welche dabei, die ihm mitgeteilt haben, was in seinem Leben nicht in Ordnung ist. Und was er stattdessen besser machen sollte. Alles unter dem Deckmantel: Gott will das von dir. Er war das so gewöhnt. Er hat sich zwar weiter mit den Leuten abgegeben, aber–“
„Links rein, rechts raus“, tippt sie.
„Denk ich mal“, grinse ich mit. „Er ist ja nicht der Typ, der es allen recht machen will.“
Sie kichert. „Das kann man wirklich nicht über ihn sagen.“
„Irgendwann ist ihm aber aufgefallen, dass ich, obwohl ich an denselben Gott glaube, nie so etwas zu ihm gesagt habe. Und da hat er angefangen nachzudenken. Wie kann es sein, dass zwei Parteien, die an den selben Gott glauben, so unterschiedlich sind?“
„Und das hat er dich gefragt, als ihr von Dersummeroog zurück kamt und er das Erlebnis mit dem Sonnenaufgang am Strand gehabt hatte.“
„Das Erlebnis mit dem Sonnenaufgang am Strand?“, wiederhole ich.
Jetzt interpretiert sie völlig richtig. „Davon weißt du nichts? Wieso weiß ich so was über deinen besten Freund und du nicht?“
„Ähm … keine Ahnung.“ In meinem Kopf herrscht auf einmal auch Sonnenaufgang. Deswegen war es ihm so wichtig, das kleinere Zimmer hinten raus zu bekommen! Die beiden sind sich beim Sonnenaufgang am Strand begegnet!!(206) Und deswegen wollte er unseren Urlaub verlängern, weil er zuhause keine Ruhe gehabt hätte, mich nach allem zu fragen! Als Erinnerung daran trägt er ein Foto mit Sonnenaufgang in den Dünen im Portmonee mit sich herum! Sonnenaufgänge, wohin man schaut!
„Ich weiß nicht, ob dir das klar ist, aber wenn du so begeistert vor dich hin denkst, siehst du wunderschön aus.“
Das holt mich zurück in die Gegenwart. „Na sicher ist mir das klar. Nur aus dem Grund denke ich überhaupt vor mich hin. Worum gings noch mal?“

391

Weil ich anstelle eines Mittagessens im Zug von Alkmaar nach Zuyderkerk gesessen habe, ist es mir recht, dass sie sich gleich als erstes in die Küche stellt und Pfannkuchenteig anrührt.
„Süß oder herzhaft?“, fragt sie und öffnet den Geschirrschrank.
„Süß.“
„Gut.“ Sie nimmt zwei kleine Pfannen heraus.
„Hast du verschiedene Pfannen für verschiedene Pfannkuchen?“, frage ich perplex. Sag noch mal einer, ich sei seltsam mit meinem ganzen Küchenkram!
„Nein. Aber wenn ich süße Pfannkuchen esse, will ich viele essen, da ist es besser, wenn sie klein sind. Sonst bin ich ja nach einem schon satt.“
„Aber ich will nicht da hinten sitzen, während du hier bist. So klappt keine Unterhaltung.“
„Dann setz dich hier hin.“ Sie zeigt auf die Arbeitsfläche neben der Spüle, auf der ein Bündel Seidenblumen, diverse leere Blumenväs­chen, ein paar Stoffbänder und allerhand Papiere liegen. Das Zeug räumt sie auf den Esstisch. „Du kannst mit den Fingern essen, ich nehme das nicht so genau.“
„Aber ich kann doch nicht auf der Arbeitsplatte sitzen!“
„Glaubst du, die bricht unter dir zusammen? Sicher nicht!“

Es zeigt sich, dass sie nicht nur feste Pfannkuchengewohnheiten hat, sondern auch ebensolche Vorstellungen von der Abendgestaltung. Der erste ist gerade auf meinem Teller gelandet, da sagt sie: „Erklär mir das mit dem Heiligen Geist. Ihr glaubt ja alle drei an den Gott, aber von dem Geist hat noch keiner geredet.“
„Das liegt daran, dass er vielen Christen unheimlich ist. Schon die Bezeichnungen für die Dreieinigkeit drücken das aus. Gott-Vater – na, jeder hat einen Vater. Jesus ist der Sohn, damit kann man auch was anfangen. Aber der Heilige Geist? Der ist nicht so fassbar, er lässt sich nicht einschätzen. Was heute ganz normal ist, kann morgen völlig abwegig sein. Zumindest für Leute, die nicht viel mit ihm zu tun haben. Am bekanntesten ist er als Ratgeber und Tröster, und als der Beistand, den Jesus den Menschen nach seiner Himmelfahrt da gelassen hat.“
„Aber warum will Lisanne denn mit dem Ratgeber und Beistand nichts zu tun haben? Stattdessen hat sie sich total aufgeregt, als du das vorhin gesagt hast.“
„Das hast du falsch verstanden, sie will mit ihm zu tun haben. Aber nicht so, wie Miloš es gerade abkriegt. Ich bin mir sicher, er war fest entschlossen, seine neuen Lieder zu präsentieren. Letztes Wochenende hatte er auch so ein krasses Erlebnis und ich gehe davon aus, dass die Lieder nur dieses Thema haben. Vermutlich hat er schon mit den ersten Takten den Heiligen Geist angezapft.“
„Versteh ich nicht.“
Würde ich auch nicht tun, hätte ich keine Erfahrungen mit dem wildesten Teil der Dreieinigkeit! „Darf ich für dich beten, dass du Verständnis kriegst? Dass er dir begegnet?“
„Wenn ich dann wie besoffen rumliege, danke nein.“
„Er tritt mit jedem anders in Kontakt. Ich zum Beispiel bin noch nie umgekippt oder habe verrückte Dinge getan.“ Lachend schränke ich ein: „Wenn man von all den Dingen absieht, die du ansonsten verrückt an mir findest!“
Sie sieht aus, als würde sie es lieber mit einer weiteren Erklärung versuchen.
„Stell es dir vor wie zwei Leute, die frisch verknallt sind. Die müssen sich ja nicht mal berühren, damit die Luft knistert, ein Blick reicht oder ein Gedanke. So wird es im Proberaum gewesen sein. Miloš wollte dem Geist ein Lied spielen und sofort hat der Blitz eingeschlagen.“
„Aha. Und warum hast du geheult?“
Ich stutze. Das hat sie bemerkt?
„Falls du drüber reden willst.“

390

„Wer fängt an?“, will ich als nächstes wissen.
„Immer der, der fragt“, antwortet Merle. „Du kannst sein Mikro nehmen, aber bleib hier bei uns stehen, du brauchst diesmal keine Trommeln.“
Weil ich es Meditation genannt habe, beginne ich mit einem mitteltiefen lang gezogenen Ooommmmm. Während ich neu Luft hole, stupst der Heilige Geist mich an und ich singe ihm ein paar Silben.
Unmissverständlich wie hochhausgroße Neonschrift empfange ich seine Botschaft: Du bist mein geliebter Sohn und ich habe Freude an dir!
Ich weiß es, seit Jahren, und doch haut es mich immer wieder aus der Bahn, wenn er mir das sagt. Als ich noch glaubte, man müsse mich nicht lieb haben, das sei nicht notwendig, hat er mir seine Sicht der Dinge erklärt. „Du bist aus einem einzigen Grund zur Welt gekommen: damit ich dich lieb haben kann. Das ist deine Bestimmung.“ Ich habe einige Jahre gebraucht, bis ich die Wahrheit über mein Leben annehmen konnte, aber das heißt ja nicht, dass es mich kalt lässt, wenn er sie wiederholt.
Weil die Mädels dabei sind, will ich mir die Tränen verkneifen, aber das ist zwecklos. Also drehe ich mich weg.

„Solltest du eines Tages mehr Musik machen wollen als nur mit den Trommeln, nimm bitte Gesangsunterricht“, sagt Merle, als wir uns ungefähr eine Viertelstunde in den Harmonien geaalt haben.
„Warum, hab ich es nötig?“
„Du bist echt ein blöder Sack“, faucht sie mich an. „Da macht man dir mal ein Kompliment und du drehst es genau ins Gegenteil!“
Tja, ein typischer Fall! Man rechnet ja eher damit, dass sie dumme Sprüche serviert. „Bitte, liebe Merle, was wolltest du sagen mit dem Gesangsunterricht?“
„Das würde sich bei dir echt lohnen, du blöder Sack, weil du eine saugeile Stimme hast. Mach bitte mehr aus deinem Musikerleben als nur Rhythmus.“
„Hattest du Gesangsunterricht?“, fragt Lisanne.
„Ja. Stell dir das aber nicht so vor, dass ich vorher ein Piepsstimmchen gehabt hätte. Gesangsunterricht ist keine Hexerei, aus einem Piepsstimmchen kann man keine Röhre machen. Aber du lernst richtig zu atmen, dein Zwerchfell einzusetzen, du kriegst Techniken vermittelt, um höhere und tiefere Oktaven zu erobern und so. Bei der Arbeit könnte dir das auch entgegen kommen“, wendet sie sich wieder an mich, „Du bist ja auf deine Stimme angewiesen.“
„Machen wir heute noch Musik oder nicht?“, will Lisanne wissen, „Ich wüsste durchaus was anderes mit meinem Tag zu tun.“
Miloš ist an der Wand hinterm Schlagzeug zum Liegen gekommen; ich hocke mich zu ihm, um mal nach dem Heilig-Geist-Pegel zu sehen. Mit dem Gesicht voller Lachgruben liegt er da und ist doch ganz woanders. Ich tippe ihn sachte an und er summt. Okay, das können wir vergessen.
„Der Tag ist frei für das, was du ansonsten mit ihm machen willst“, lautet mein Urteil, während ich mich erhebe und wieder zu den beiden gehe.
„Was hast du denn vor?“, fragt Merle.
„Bea hat ein paar Leute eingeladen, sie wird sich freuen, dass ich zwar spät, aber dann doch noch komme.“ Sie stellt ihr ungenutztes Instrument zurück ins Regal. „Tschüss!“
„Grüß alle schön“, tragen Merle und ich im Chor auf.
„Mach ich!“, und raus ist sie.
„Und womit füllen wir den angefangenen Tag?“, will Merle von mir wissen.
Ich hebe die Schultern. „Ich hatte mich nach deiner großartigen Ankündigung mit den neuen Liedern auf eine lange Session eingestellt und sonst nichts geplant.“
„Ich kann nichts dafür, dass aus der Ankündigung nur heiße Luft geworden ist. Zu dir oder zu mir?“, lacht sie.
Ich lache auch. „Zu dir. Bei mir waren wir schließlich gestern.“
„Und Miloš? Bleibt der einfach so hier liegen?“
„Gehen kann er in dem Zustand jedenfalls nicht. Ach, der findet schon nach Hause. Nachher auf dem Heimweg werde ich mal nachgucken, ob er noch hier ist. Irgendwer muss ja auch abschließen.“

389

„Worüber lachst du?“, will ich wissen.
Er grölt los. „Keine Ahnung, aber es ist lustig!“
Bei so viel Gelächter kann man nicht ernst daneben stehen und wir lachen mit.
Im dritten Versuch gackert er schon im ersten Takt los und ist gar nicht zu beruhigen. Er versichert zwar, dass er nicht über uns lacht, aber einen Grund kann er auch nicht nennen.
Im vierten Anlauf wälzt er sich wiehernd auf dem Boden.
Es ist ja schön, dass ihm offenbar nichts mehr weh tut, denn sonst könnte er nicht so ungehindert Luft holen, um sie gleich darauf wieder heraus zu lassen, aber ein bisschen seltsam ist sein Verhalten schon!
„Man fragt sich ja, an welcher Schraube da mal gedreht werden müsste“, stellt Lisanne trocken in den Raum.
„Hat er doch wieder angefangen mit Drogen? Und wenn ja, wie heißt das Zeug?“, fragt Merle grinsend, „Ich will das auch haben!“
Beim dem Stichwort ist mir auf einmal alles sonnenklar. „Es sind keine Drogen. Zumindest keine, die man irgendwo kaufen könnte. Das da“, ich zeige auf Miloš, der vor Lachen kaum noch Luft kriegt, „macht der Heilige Geist.“
„Wer?“, fragt Merle, und zugleich Lisanne: „Nicht im Ernst, oder?“
„Doch. Völliger Ernst.“ Für Merle fasse ich in Kürze zusammen: „Vater, Sohn, Heiliger Geist. Dreieinigkeit, schon mal gehört? Um den Heiligen Geist wird es jetzt öfter gehen.“
Skeptisch schaut sie mich an. „Könnte das mit der Schraube auch bei dir nötig sein? Na, mal ehrlich, ist das schlimm, was er hat? Ich meine, geht das vorbei? Du kennst dich doch aus mit dem Geist.“
„Von wegen, ich weiß, dass ich nichts weiß. Es geht vorbei, ja, und es ist nicht schlimm, und ihr hättet ihn mal vor einer Woche erleben sollen. Da war er von Freitagabend bis Sonntagmorgen breit.“
Lisanne zieht mich beiseite und bittet nachdrücklich: „Sag mir, was er eingenommen oder geraucht hat.“
„Der Kerl ist stocknüchtern. Es ist, wie ich es gesagt habe: der Heilige Geist.“
„Nimm mich bitte nicht auf den Arm. Der Heilige Geist ist der Vermittler zwischen Gott und uns Menschen, aber von solchen Albernheiten steht nichts in der Bibel.“
„Von vielen Dingen des heutigen Lebens steht nichts in der Bibel.“
Ihre entschiedene Handbewegung sagt schon alles. „Du findest in der Bibel Antworten auf alle Fragen. Aber lass uns bitte nicht darüber diskutieren, wir wissen beide, dass wir unterschiedliche Ansichten haben bei dem Thema.“
Ziemlich viele Glaubensgeschwister in der Kirche haben bei diesem Thema andere Ansichten als ich. Lisanne ist eine der wenigen, die meine Ansichten akzeptiert, auch wenn sie sie nicht teilt.(205) Auf den ersten Blick merkt es niemand, aber ich bin dadurch ziemlich isoliert. Weil ich nicht ständig „bekehrt“ werden will, behalte ich meine Meinung für mich. Ich sollte mich wirklich auf die Suche machen nach einer besser passenden Glaubensgemeinschaft. Und den Heilig-Geist-Junkie muss ich dringend mitnehmen, erstens um ihn vor den Kirchenleuten zu schützen und zweitens, um die Kirchenleute vor den neuen Entwicklungen zu schützen. Sonst nimmt es kein gutes Ende mit ihm und seinem jungen Glaubensleben.
Vorher muss ich aber meine Bandkolleginnen davon abhalten, ihn zum Ausnüchtern unter die Dusche zu stellen oder was den beiden sonst so einfällt.
„Ich gebe zu, ich hab euch schon oft veräppelt. Aber ich mache keine Witze: Miloš hat keine Drogen genommen und ist auch nicht besoffen. Ich hätte es mitgekriegt, denn wir haben den ganzen Vormittag zusammen verbracht, außer als er bei der Polizei war. Vielleicht können wir ja ohne ihn Musik machen, er kommt schon wieder zu sich. Okay?“
„Und was willst du spielen?“
„Harmoniemeditation?“, biete ich an.
Die beiden nicken.

388

Miloš verstaut die Sachen in seinen Hosentaschen und fängt zögernd an: „Wenn ich jemanden anzeigen will … an wen wende ich mich?“
„Da sind Sie bei mir genau richtig.“
„Gut, also … wie Sie sich vielleicht denken können, bin ich gestern überfallen worden.“
Okay, mein Job ist erledigt. „Du kommst ohne mich zurecht. Ich warte vorm Haus auf dich. Tschüss, Herr Iedema.“

Ich lehne mich an einen Baum; Wintersonnenstrahlen gibt es nämlich auch in Alkmaar.
Irgendwann humpelt Miloš aus dem Gebäude. Er guckt sich suchend um und ich gehe auf ihn zu. „Na, gute Erfahrungen gesammelt?“, frage ich.
Er nickt.
„Musst du noch mal hin wegen der Anzeige?“
„Wenn die Typen geschnappt werden und die Beweislage nicht wegen anderer Delikte schon eindeutig ist, muss ich vielleicht wieder kommen, um sie zu identifizieren.“
Den Satz muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Wenn die Beweislage nicht wegen anderer Delikte eindeutig ist! Rein sprachlich müsste es ihm bei der Polizei gefallen, er mag ja so korrekte Ausdrucksweise.(204)
Miloš hat andere Gedanken. „Verrückt, dass alles gefunden wurde. Und dann auch noch so schnell! Ich hatte damit gerechnet, dass es wochenlang dauert, bis der Pass und der Führerschein neu ausgestellt sind, dass wir neue Schlösser einsetzen müssen und so weiter.“
„Ich hab letzte Nacht dafür gebetet, dass deine Sachen schnell gefunden werden.“
„Danke Jesus, danke Jeremy. Wofür hast du noch gebetet?“
„Erzähl ich dir beim nächsten Mal. Wir müssen jetzt zurück nach Hause, Merle hat uns ja dieses Bandtreffen aufs Auge gedrückt, weil du angeblich neue Lieder hast. Hast du?“
„Ja. Aber „aufs Auge gedrückt“ ist keine gute Redewendung. Nimm eine andere, du kennst genug Wörter.“
Geht das schon wieder los?!


hundertneunzehntes Kapitel

Der Empfang im Proberaum ist vorhersehbar. Lisanne und Merle reagieren ungefähr wie ich gestern Nacht, nur dass sie halt erstens Mädels und zweitens zu zweit sind und daher alles ein bisschen länger dauert.
Miloš erklärt lang und breit, was passiert ist und was wir heute unternommen haben und vor allem, dass sein Zustand jetzt viel schlimmer sein könnte! Dass es aber nicht so ist, liegt daran, dass ich ihn versorgt habe und gebetet habe und ihn mit Öl gesalbt und gesegnet habe.
Mit Öl gesalbt? Spontan will ich das richtig stellen, aber dann denke ich: Wenn es ihm hilft, soll das Olivenöl ab jetzt Salböl heißen! Ich wusste gar nicht, dass er auf so mystische Sachen steht. Ich sollte mir ein kleines Fläschchen für die besonderen Anlässe zulegen, damit ich nicht eines Tages Salböl in den Salat gebe. Das könnte zu Irritationen führen.
„Kannst du denn heute überhaupt Musik machen?“, erkundigt Merle sich.
„Herzchen. Ich kann immer“, gibt er an.
Aus Spaß will sie ihm auf den Arm boxen, aber er weicht hastig aus. „Keine gute Idee!“
„Oh Gott, entschuldige!“, macht sie erschrocken. „Das war nur so ein Automatismus, nicht böse gemeint!“
„Schon gut“, winkt er ab. „Musik machen?“
Wir sind dafür!
Er nimmt sein Instrument vom Haken und stimmt es mit wie üblich konzentriertem Blick. Kaum hat er aber die ersten Akkorde gespielt, fängt er an zu kichern.
Wir übrigen tauschen skeptische Blicke aus. Was gibt’s denn da zu lachen?
Er holt Luft und fängt von vorne an.
Wieder kommt er nicht weit.